SEELÄNDER, N. (1716-1744). Lipsius S. 365; MMAG 4544.
NUMISMATISCHE LITERATUR
BIBLIOPHILE WERKE
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Zehen Schriften von Teutschen Müntzen Mittlerer Zeiten. Mit einigen historischen Erläuterungen erklärt, und in dreyzehen Kupfer-Platten vorgestellt. Hannover 1743, 5 unpag. S. Widmung und Vorrede, 120 S. einige Textvignetten, 13 Tfn. Zeitgenössischer mehrfarbiger Interimsumschlag. Mehrere Besitzerzeichen und Stempel. Unbeschnittenes Exemplar, der Vorderdeckel lediglich an dem aufgeklebten handschriftlich beschriebenen Titel- und an dem handschriftlich beschriebenen bibliothekarischen Standortschildchen hängend.
Lipsius S. 365; MMAG 4544.
Stärkere Benutzuungsspuren des Umschlags, doch innen recht ordentlich von unbeschnittenem breitrandigen Zustand
Nikolaus Seeländer (*wohl 1683 in Erfurt, Ó1744 ebenda) übte als gelernter Schlosser und Medailleur zunächst seinen Beruf in der Heimatstadt aus. Obgleich seine Pläne, sich am englischen Hof als Medailleur einzuführen, scheiterten, konnte er dank Vermittlung von Gottfried Wilhelm Leibniz 1716 eine Stelle als kurhannoverscher Bibliotheks-Kupferstecher erlangen, zwei Jahre später wurde ihm dort zudem der Titel eines Hofmalers verliehen. In den Folgejahren radierte er u. a. Kupfertafeln für die geplante Veröffentlichung der Origines Guelficae. Dieses Projekt der Edition einer welfischen Quellengeschichte, die ursprünglich Leibnitz übertragen worden war, konnte jedoch aufgrund ihrer umfangreichen inhaltlichen Erfordernisse nach dem Tode dieses Universalgelehrten und unter Mitwirkung mehrerer nachfolgender Autoren erst 1780 in fünf Bänden abgeschlossen werden. Seeländer empfahl sich aber mit den Kupfertafeln, die er anfangs für die Origines beigesteuert hatte, für weitere Aufgaben. So erteilte man ihm Aufträge für weitere Radierungen, wie Porträtkupfer und Buchillustrationen. Eine gewiss große Aufgabe übertrug man ihm mit der graphischen Dokumentation der berühmten Münzensammlung des 1722 verstorbenen Loccumer Abtes Gerhard Walter Molanus, zu der er sämtliche 147 Kupfertafeln beisteuerte. Beim Erstdruck dieses Tafelwerks soll 1743 lediglich ein Abzug hergestellt worden sein, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. 1745 erwarb der hannoversche Landesherr und englische König Georg II. noch vor der geplanten Versteigerung des Molan’schen Bestandes die Sammlung komplett, hinzu auch Seeländers Kupfertafeln, aus denen später im Auftrag des Hauses Braunschweig-Lüneburg weitere Abzüge in Kleinstauflage gedruckt wurden, im Jahre 1754 lediglich 20 Stück und 1853 noch weitere 30 Stück für ausgewählte Empfänger.
Bereits während seiner Beschäftigung mit den Kupfertafeln zu den Origines Guelficae war Seeländer neben anderen historischen Objekten auch mit mittelalterlichen Münzen direkt in Berührung gekommen, da diese als Vorlagen für Abbildungen dienten. Dies regte ihn zur intensiveren Beschäftigung mit Brakteaten und anderen mittelalterlichen Münzen an, was nicht nur in Gelehrtenzirkeln, sondern auch mittlerweile bereits in bürgerlichen Kreisen Interesse erweckte. Aufgrund guter Kontakte zu Sammlern und Sammlungen legte er sich allmählich aus Zeichnungen, Stanniolabdrücken und Abgüssen von Münzen eine regelrechte numismatische Dokumentation an und plante gar die Erstellung eines Korpuswerkes mittelalterlicher Prägungen. Spätestens seit 1724 veröffentlichte er eigene numismatische Werke (Lipsius S. 365f), von denen die „Zehen Schriften von Teutschen Müntzen Mittlerer Zeiten“ als Hauptwerk gelten und beim Publikum eine recht positive Aufnahme fanden. Zudem eröffnete sich Seeländer mit der Numismatik eine weitere Erwerbsquelle, indem er Brakteaten fälschte oder gar neue Typen erfand, die er dann zum eigenen Gewinn und zum Schaden der ahnungslosen Käufer veräußerte. Diese Fälschungen sind gut erforscht und dokumentiert. R. Thiel konnte in seiner Dokumentation „Die Brakteatenfälschungen des Nikolaus Seeländer [1683-1755] und seine Zehen Schriften zur mittelalterlichen Münzkunde“ (Heidelberg 1990) nicht weniger als 180 verschiedene Falsifikate katalogisieren. Seeländer betrieb die Vermarktung seiner Machwerke mit so krimineller Energie, daß er nicht davor zurückschreckte, sie in seinen eigenen Abhandlungen abzubilden, womit er einerseits mit der Vorlage der insbesondere bislang unbekannten Typen seine Druckwerke interessanter machen, seine scheinbare Gelehrsamkeit aufwerten und andererseits zugleich mit seiner Präsentation die Preise solcher im Druck präsentierten silbernen „numismatischen Raritäten“ in die Höhe treiben konnte. Dem ahnungslosen Leser präsentierte Seeländer in den hier vorliegenden „Zehen Schriften“ neben echten Brakteaten nicht weniger als 62 verschiedene Typen seiner falschen Machwerke. Damit ist dieses Buch nicht nur ein Zeugnis zur Historie der Brakteatenforschung, sondern auch ein Dokument der Kriminalgeschichte.
Die befindlichen Eignerzeichen und Stempelungen auf der Innenseite der hier offerierten Seeländerschen Abhandlung verraten Interessantes zu ihrer Herkunft und Besitzergeschichte. Ein gestochenes Exlibris mit der handschriftlichen Datierung 1855 weist sie als Bestandteil der umfangreichen Bibliothek des Frankfurter Justizrates Dr. L(udwig) H(einrich) Euler aus. Den rund 40.000 Einzeltitel umfassenden Bibliotheksbestand erwarb 1885/1886 Eulers Neffe, der vermögende Privatier und Sammler Dr. Oskar Kling (*1851, Ó1926) für 40.000 Mark, um ihn sogleich gegen Zahlung eines Vorzugspreises von nur 10.000 Mark an das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg zu übertragen. Möglicherweise hatte er aber zuvor manche Titel aus jenem Bestand, wie auch das vorliegende Buch, in seinen persönlichen Bücherbestand übernommen. Nach seinem Tod stiftete er seine etwa 26.000 Bücher umfassende eigene Bibliothek der Stadt Frankfurt am Main, die alle Schriften mit einem besonderen Herkunftsaufkleber ausstatte, der die Provenienz aus dem „VERMÄCHTNIS DR. OSKAR KLING“ bekundet und sie dann hier an verschiedene Einrichtungen verteilte, insbesondere an die Stadtbibliothek, das Kunstgeschichtliche Seminar, das Schulmuseum und weitere städtische Büchereien. Unser Buch wurde der Stadtbibliothek zugewiesen und früher oder später als Dublette gekennzeichnet und ausgeschieden. Von unbestimmter Herkunft und Zeitstellung (wohl erste Hälfte des 20. Jhs.) ist ein weiterer Dublettenstempel mit der Aufschrift DUP. DES. G. M. (= „Duplette“ des G[...?]. M[useums?]), angebracht auf der Schau- und der Rückseite seines Vorderdeckels. Zur Geschichte der Bibliothek des Dr. Ludwig Heinrich Euler und dessen Neffen Dr. Oskar Kling, siehe: Jahrbuch für Volkskunde N. F. 20, 1997, S. 107.