Teaserbild
Trennline

Bernhard zur Lippe, Bischof von Paderborn, 1227-1247, als Tutor Pfennig (Sterling vom Short-Cross-Typ) um 1230

GERMAN COINS AND MEDALS
CORVEY, ABTEI

Back to the list
place on watchlist

Lot number 6406




Estimated price: 5,000.00 €
Hammer-price / sale price: 6,500.00 €


Bernhard zur Lippe, Bischof von Paderborn, 1227-1247, als Tutor
Pfennig (Sterling vom Short-Cross-Typ) um 1230, Corvey oder Höxter. 1,35 g.ßSCS·VITVSÀON Kopfbild des heiligen Vitus v. v.// jSCSBeRHAVSÆ Doppelfadenkreuz, in den Winkeln je ein Kugelkreuz.


Von allergrößter Seltenheit. Attraktive Patina, sehr schön

Die Rückseitenumschrift des Pfennigs unterscheidet sich von den bisher in kleiner Zahl bekannt gewordenen Vertretern dieses Corveyer Sterlingtyps. In der Folge muß auf diesen Typ ausführlicher eingegangen werden, einerseits um auf einige bis in unsere Tage wirkende Unwägbarkeiten hinzuweisen, die insbesondere durch Fehllesungen einiger in älterer Zeit veröffentlichter Stücke hervorgerufen worden sind, andererseits, um die singuläre Stellung des vorliegenden Pfennigs innerhalb dieser Gruppe zu betonen.
Hinsichtlich der Mittelaltermünzen des Reichsklosters Corvey muß man mangels eines jüngeren Verzeichnisses das 1883 im Selbstverlag veröffentlichte Werk von Joseph Weingärtner zurückgreifen, das auf eine bereits 1860 von Heinrich Philipp Cappe vorgelegte Arbeit fußen konnte. Weingärtners Katalog der Mittelaltermünzen weist gewisse Mängel auf, da sein Verfasser zum einen über eine vergleichsweise geringe Material- oder Quellenbasis verfügte, zum anderen aufgrund seiner offenkundig recht beschränkten Kenntnis der mittelalterlichen Buchstabenformen fehlerhafte Lesungen vornahm und mitunter daraus irrige Deutungen ableitete, die in einigen Fällen bis heute später als Tatsachen begriffen und tradiert worden sind.
Der hier repräsentierte Corveyer Sterlingtyp dürfte nach numismatischen und epigraphischen Kriterien in das erste Drittel des 13. Jahrhunderts, vermutlich in die Jahre um 1230 datieren. Die Zahl der von uns in der Literatur ermittelten Exemplare dieses in wenigen Variationen auftretenden Bildtyps ist ausgesprochen gering. Zudem erschweren in der Regel partielle Prägeschwächen, Abnutzungsspuren oder auf den Schrötlingen nicht vollständig erfaßte Umschriftenpartien eine gänzlich zweifelsfreie Ausdeutung der Umschriften. Uns ist keine Schatzfundpublikation bekannt, die eine nähere Datierung dieses Bildertyps zuließe. In seiner Bildkomposition zeigt er Verwandtschaft und eine gewisse Abhängigkeit zu den bischöflich-münsterschen Sterlingen und deren Teilstücken, die ihrerseits ein Heiligenbildnis von vorn auf der Vorderseite und das kurze Sterlingkreuz auf der Rückseite aufweisen (siehe Ilisch [Münster] VII.6-VII.10 und  IX.6-7). Analogien ergeben sich auch zu bischöflich-Osnabrücker Prägungen aus den Prägestätten Osnabrück (Kennepohl 51, 52) und Wiedenbrück (Kennepohl 53-56). Da der Umlauf entsprechender Sterlinge des Bistums Münster durch Fundvorkommen auch für Ostwestfalen verbürgt ist, könnten diese die Anregung für die Schöpfung dieses Sterlingtyps der Abtei vermittelt haben. Verwandtschaften zeigen sich freilich auch zu Prägungen aus den königlichen Münzstätten Dortmund (Berghaus, Dortmund 66-69) und Duisburg (Berghaus, Duisburg 14), die freilich frontale gekrönte Häupter weltlicher Herrscher aufweisen und etwas früher entstanden sein dürften (hierzu Peter Berghaus, in: Hamburger Beiträge zur Numismatik Bd. I, H. 1, 1947, S. 299f). Sämtliche Spielformen des vorliegenden Corveyer Sterlingtyps tragen keine Angabe der Münzstätte. So bleibt es vorerst offen, ob die Prägung dieses Typs im benachbarten Höxter erfolgt ist oder in der durch wenige Typen als Münzort gesicherten Stadt Corvey, die um 1190 seitens der Reichsabtei als „nova villa in Corbeia“ gegründet und bereits 1265 durch kriegerische Handlungen wieder ihr Ende gefunden hat.

Der vorliegende Sterlingtyp mit dem Kopfbild der Vorderseite und dem Doppelfadenkreuz auf der Rückseite ist in der Literatur in verschiedenen Variationen überliefert.
Die Darstellung auf der Vorderseite wird in diversen Fassungen inschriftlich stets mit dem Namen des Stiftsheiligen Vitus bezeichnet. In der Literatur finden sich existieren folgende Versionen der Vorderseitenumschrift: 
A1a. ßSCSVITVSÀON - Chautard 386 (ein Exemplar aus Slg. „Dannemberg“ [i. e. Hermann Dannenberg]); Weingärtner 23 (ebenfalls ausschließlich das Exemplar aus Slg. Dannenberg anführend, hier mit fehlerhafter Lesung SCSVITVSO’ON, vgl. dagegen die auf Tf. I,14 abgebildete Strichzeichnung).
A1b. +SCSVITVSMOÆ (ohne Trennungszeichen Punkte, mit lateinischem Buchstaben M). - Auktion Fritz Rudolf Künker 237, Nr. 2033.
A1c.
ßSCS·V·I·TVSMON (mit Trennungszeichen Punkte und lateinischem Buchstaben M) Nachweis: Das hier vorgelegte Exemplar.
A2a.
SCS·V·I·TVSÀA - Weing. 10 (mit fehlerhafter Lesung SCS.V.I.TVS G’A);  sowie A. Riechmann & Co. Auktion 40, Nr. 3 (dort mit korrekter Lesung SCS ·V·I·TVVSÀAR), Ilisch, Corvey S. 8 (Abbildung, ohne Beschreibung der Legenden); Münzen und Medaillen GmbH Auktion 40, Nr. 722 (identisch mit Münzen und Medaillen GmbH Auktion 38, Nr. 357, ein gelochtes Exemplar mit erheblichen Abnutzungsspuren, gelesen mit +SCS VITVS MA).

Auch die Rückseite mit dem Doppelfadenkreuz ist in verschiedenen Stempeln und Umschriftversionen belegbar, die nach den in der Literatur anzutreffenden Lesungen unterschiedliche Bedeutungsinhalte repräsentieren. Folgende Stempel sind in bisherigen Veröffentlichungen aufgeführt:
R1a. SCSDePHANVS - Nachweise: vgl. Chautard 396 (Exemplar aus Slg. „Dannemberg“ [i. e. Hermann Dannenberg]), hier die Rückseitenumschrift irrig (?) aber entsprechend zu seiner auf Tf. XXVI,1 vorgelegten Zeichnung +SCSDEPHANVS notierend); vgl. Weing. 23 (wie Chautard ebenfalls ausschließlich das Exemplar aus Slg. Dannenberg anführend, hier mit fehlerhafter Lesung SGS$DEPHANVS, abweichend zu seiner Abbildung auf Tf. I,14). Die Vorlage ein und derselben Münze durch beide Autoren ergeben also Unterschiede in der Ausdeutung der Umschriften, ferner zeigt ein Vergleich der von beiden Verfassern beigefügten Abbildungen von Strichzeichnungen der Münze Unterschiede in bestimmten Details (die Kreuzform auf der Vorderseite sowie die Zentrierung des Rückseitenstempels), was Zweifel an der Zuverlässigkeit und Richtigkeit der Angaben aufkommen läßt. Doch ist bemerkenswert, daß Hermann Dannenberg, ausgewiesener Kenner der mittelalterlichen Numismatik und einstiger Besitzer der Münze, die Fassung der Umschrift SCSDEPHANVS in seinen korrigierenden Anmerkungen zur Veröffentlichung Weingärtners (in: Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Numismatischen Gesellschaft in Berlin, Berlin 1893, S. 59) nicht bemängelt, was wiederum für die Richtigkeit dieser Umschriftenwiedergabe sprechen könnte.
R1b.
[Keilkreuz innerhalb einer fadenförmigen runden Einfassung] SCSDePHAVSÆ - Auktion Fritz Rudolf Künker 237, Nr. 2033 (identisch mit Exemplar Westfälische Auktionsgesellschaft Auktion 26, Nr. 1104).
R2a. Unter Postulierung des aufrecht orientierten Doppelfadenkreuzes steht der durch das Kreuz markierte Anfang der Umschrift hier bei etwa 315 Grad der Kreisskala, respektive bei ca. 10.30 Uhr nach dem Zifferblatt einer Uhr, entgegen der übrigen Varianten, wo der Beginn der Umschrift bei 0 Grad respektive bei ca. 12 Uhr, liegt. Es existieren in der Literatur hinsichtlich gleichartiger Exemplare unterschiedliche Lesebefunde der Umschrift, heRHANVSÀP (was für Hermanus monasterii praepositus = Hermann, des Klosters Vorsteher stehen könnte, soweit man voraussetzt, daß der H-förmige Buchstabe hier für ein M steht) oder +heRHANVSÀIÆ (was uns wohl eher als korrekte Lesung erscheint) -  Weing. 10 (mit inkorrekter Wiedergabe +hGPHANVSO’I, widersprechend zur Abbildung ebd. Tf. I, 8); A. Riechmann & Co. Auktion 40, Halle (Saale), Dezember 1928, Nr. 3 (identisch mit dem Exemplar Weing. 10?), die Umschrift mit +heRHANVSÀP notierend; Ilisch, Corvey S. 8 (Abbildung eines weiteren, mäßig erhaltenen Exemplars, ohne Beschreibung der Legenden); Münzen und Medaillen GmbH Auktion 38, Nr. 357 (identisch mit Exemplar Münzen und Medaillen GmbH Auktion 40, Nr. 722, ein gelochtes stark abgenutztes Exemplar, dessen Umschrift vom dortigen Bearbeiter zu +heRMANVSÀIÆ rekonstruiert worden ist).
R3a.
jSCSBERHAVSÆ - Nachweis: Das hier vorgelegte Exemplar.
 
Somit ergeben sich auf den uns bekannten Pfennigen folgende Stempelkombinationen und daraus resultierende Untertypen:
A1a/R1a, Typ Ia. Vorderseitenstempel mit Bezeichnung des heiligen Vitus als enger Gefährte des Modestus (?), mit unzialem Buchstaben m //Rückseitenstempel mit dem etwas verballhornten Namen Heiliger Stephanus. Chautard 326, identisch mit Weing. 23 (beide Zitate beziehen sich auf ein und dasselbe Exemplar aus Slg. Dannenberg).
A1b/R1b, Typ Ib. Vorderseitenstempel mit Bezeichnung des heiligen Vitus als enger Gefährte des Modestus (?), mit lateinischem Buchstaben M // Rückseitenstempel mit dem etwas verballhornten Namen Heiliger Stephanus. Auktion Fritz Rudolf Künker 237, Nr. 2033.
Diese beiden voranstehenden Varianten bilden zusammen unseren Typ I, der die Namen der beiden Schutzheiligen des Stifts Corvey miteinander vereint. Reliquien des heiligen Stephanus hatte König Ludwig der Fromme dem Kloster bereits 823 neben weiteren Schenkungen übertragen. Erst 836 erfolgte hier die Übergabe der Reliquien des heiligen Vitus (Veit). Fortan verfügte man in Corvey über zwei Schutzpatrone, wobei Vitus im Laufe der Zeit in den Vordergrund rückte. Doch noch bis heute trägt die Abteikirche die Namen beider Heiliger. Auf der Vorderseite ist der heilige Vitus nicht (wie auf unserem Typ II) als ÀAÆ (Märtyrer) bezeichnet, sondern der Name am Ende der Umschrift mit dem verkürzten ÀON respektive MON verknüpft. Chautard hat dieses Kürzel ohne weitere Erklärung als „monasterium“ interpretiert, Weingärtner hat dazu keine Stellungnahme abgeliefert. Der Begriff "monasterium" ließe sich als „Kloster“ oder aber als Ortsangabe Münster verstehen. Bei letzterer Deutung wäre zunächst von der durchaus wahrscheinlichen Möglichkeit auszugehen, daß eine münstersche Prägung als mittel- oder unmittelbare Vorlage zur Schöpfung Corveyer Sterlingstyps beigetragen hat. Da die Ortsangabe jedoch auf den in Frage kommenden münsterschen Pfennigen (s.o.) stets unverkürzt erscheint, so halten wir diese Ableitung der Herkunft des Kürzels am Ende der Vorderseitenumschrift unseres Sterlings für höchst unwahrscheinlich. Auch der potenzielle Bedeutungsgehalt „Kloster“ scheint uns in diesem Falle wenig schlüssig, da dieser Begriff in Verbindung mit dem Namen des heiligen Vitus isoliert ohne wirklichen Sinngehalt steht. Ein Sinn ergäbe sich beim Vorhandensein eines Kürzels für einen weiteren charakterisierenden Begriff, wie beispielsweise die Verknüpfung von S(an)C(tu)S VITVS MON(asterii) mit P für „patronus“ was dann für „Der heilige Vitus, des Klosters Schutzheiliger“ stehen könnte. Wir möchten hingegen vorschlagen, die Endung ÀON oder MON auf dieser Münze aufzulösen zu MO(desti) N(ecessarius), d.h. enger Gefährte des Modestus. Modestus hatte seinem Zögling und Schüler den Zugang zum christlichen Glauben erschlossen. Infolge der Christenverfolgungen unter Kaiser Diocletians sahen sie sich zur gemeinsamen Flucht gezwungen, wurden aber ergriffen und mußten den Märtyrertod erleiden. Umschriften, in denen der Name des heiligen Vitus mit demjenigen des heiligen Modestus verknüpft ist, sind auf weiteren Münzen des Reichsstifts verbürgt (Weingärtner 18b, n und p, geprägt unter Abt Heinrich III. von Homburg, 1272-1306; Dannenberg a. a. o. S. 58, Nr. 42, ebenfalls geprägt unter Abt Heinrich III. von Homburg; Weing. 30d, geprägt unter Tutor Simon zur Lippe, Bischof von Paderborn, 1247-1277). 
A2a/R2a, Typ II. Vorderseitenstempel mit Bezeichnung des heiligen Vitus als Märtyrer // Rückseitenstempel mit dem korrumpierten Namen (und mit dem Titel?) des Stiftvorstehers Hermann? - Nachweise: Weing. 10; A. Riechmann & Co. Auktion 40, Nr. 3; Ilisch, Corvey S. 8 (Abbildung links); Münzen und Medaillen GmbH Auktion 38, Nr. 357 (identisch mit Exemplar Münzen und Medaillen GmbH Auktion 40, Nr. 722).
Weingärtner wies aufgrund seines Lesebefunds jenen Sterling unseres Typs II dem 1223-1254 als Corveyer Abt amtierenden Hermann I. von Holte zu und legte diese Münze deswegen in die kurze Phase von Herrmanns Stellung als „Electus“ also jener frühen kurzen Zeitspanne zwischen der Wahl zum Abt und der Bestätigung und Amtseinführung. Dieser Interpretation hat später Dannenberg nachdrücklich widersprochen: „Tf. I, 8 [= Weing. 10] wird mit Unrecht dem Abte Hermann I. 1223-1254 zugeeignet, wenigstens berechtigt die auf ihn bezogene Umschrift der Kreuzseite nicht dazu, da nicht Hermannus electus, sondern Sdephanus mr zu lesen ist, denn ohne allen Zweifel ist es westlich dieselbe Münze wie [Tf. I] No. 14 [= Weing. 23; unsere Stempelkombination A1a/R1a]. Immerhin mögen diese Münzen aus Hermanns I. oder seines Vorgänger Hugold, 1208-1223 Zeit herrühren“ (H. Dannenberg in: Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Numismatischen Gesellschaft in Berlin, Berlin 1893, S. 59). Der in der anonym versteigerten Spezialsammlung Corveyer Münzen bei A. Riechmann & Co. enthaltene Sterling (Auktion 40, Nr. 3) ist möglicherweise mit dem Exemplar Weing. 10 identisch, dessen Abbildung im Versteigerungskatalog auf Tf. I,3 eine gewisse Übereinstimmung mit der von Weingärtner vorgelegten Zeichnung nahe legt. Der Bearbeiter des Versteigerungskataloges (vermutlich Richard Gaettens) notierte entgegen Dannenbergs Deutung die Kopfseitenumschrift mit +SCS ·V·I·TVVS ÀAR und die Kreuzseitenumschrift mit jHeRHANVSÀP (möglicherweise eher jheRHANVSÀIÆ) und liegt damit eher auf Weingärtners als auf Dannenbergs Linie. In die gleiche Richtung zielt mit seiner Rekonstruktion +hERMANVSMIÆ der Bearbeiter des bei der Münzen und Medaillen GmbH zur Versteigerung angebotenen schlecht erhaltenen Pfennigs, der nach den Abbildungen offenbar aus denselben Stempeln stammt, wie das bei Riechmann & Co. versteigerte, erheblich besser lesbare Exemplar. 
A1c/R3, Typ III.  Vorderseitenstempel mit Bezeichnung des heiligen Vitus als engen Gefährten des Modestus? - mit lateinischem Buchstaben M // Rückseitenstempel mit Namen eines Bernhard) – Nachweis: Das hier vorgelegte Exemplar.
Die Rückseitenumschrift zeigt eine Nähe zur „S[an]C[tu]SDePHA[n]VS“-Umschrift unseres Typs Ib, doch beinhaltetet die Münze des Typs III anstelle des P den klar lesbaren Buchstaben R mit einer so präzisen Positionierung des kennzeichnenden schrägen Abstrichs, daß sich eine Deutung dieses Strichs als Stempelverletzung an einem P verbietet. Obgleich der von uns als B gedeutete Buchstabe auf dem Schrötling nicht voll erfaßt ist, liegt es daher nahe, ihn so zu deuten und nicht als D. Ein „heiliger Bernhard“ der verkürzt mit SCSBeRHAVSÆ hier scheinbar belegt ist, ist aber auf einer um 1230 geschlagenen Münze des Corveyer Benediktinerstifts kaum vorstellbar, stünde für diese Zeit doch nur der 1174 kanonisierte Zisterzienser Bernhard von Clairvaux zur Disposition. Das am Beginn der Vorderseitenumschrift stehende Kürzel SCS für „Sanctus“ könnte freilich aber auch eine Umschriftenpartie darstellen, die der Stempelschneider von einer bildgleichen Vorlage mit „Sanctus-Stephanus"-Umschrift versehentlich oder aus Unkenntnis ihrer Bedeutung in das Prägeeisen dieses „Bernhard"-Sterlings übertragen haben könnte. Dazu gibt es aus westfälischen Münzstätten etliche Vergleichsbeispiele aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und später. Somit liegt es nahe, daß man sich beim Schneiden der Prägestempel an bereits vorhandene bildgleiche Sterlinge unseres Typs I orientiert und auf diese Weise die SCS-Umschriftenpartie dem Namen Bernhard ohne Sinn beigeordnet hat. Sollte diese Annahme zutreffen, so ergäbe sich daraus, daß die „Bernhardus-Emission" etwas später als jene mit Namen „Sanctus-Stephanus"entstanden ist. 
 
Unsere Deutung des Namens Bernhard auf dem vorliegenden Sterling schlägt indes einen Bogen zu einem etwa gleichzeitigen, aber anderen Corvey Pfennigtyp, den der Paderborner Bischof Bernhard zur Lippe als Schutzherr der Reichsabtei geprägt hat (Slg. Dr. Bernhard Schulte, Münzen und Medaillen GmbH Auktion 28, Nr. 527; heute im Münzkabinett des LWL-Museums für Kunst und Kultur, Münster, siehe Landschaftsverband-Westfalen-Lippe [Hrsg.], Monetissimo! Aus den Tresoren des Münzkabinetts. Petersberg 2016, S. 67, Nr. 7.10). Die Vorderseite dieser Münze zeigt ein von einem Vierpaß umrahmtes Kopfbild im Profil und mitsamt der Umschrift ßBeRHARDVS/e. Ihre Rückseitenumschrift CVR – BeI – ACI – VITÆ verweist auf den Prägeort, die unweit des Klosters als „nova villa in Corbeia“ gegründete Stadt Corvey (die Zuweisung dieser Prägung an die Münzstätte „Höxter?“ im zitierten Katalog Monetissimo! ist nach dem Schriftbefund auf der Rückseite zu verwerfen). Diese den früheren Numismatikergenerationen unbekannte Münze stellt eine maßgebliche Ergänzung und zugleich den frühesten Nachweis zu den von Weingärtner S. 36-40 diskutierten und S. 63-67 unter Nrn. 28-34 und 36 beschriebenen sogenannten Corveyer Tutorenmünzen dar (die Prägung von Weing. 35 zählt hingegen nicht zu dieser Gruppe, vgl. Hävernick, Köln S. 270, Nr. 1080). Solche Prägungen erfolgten nicht unter Regie der Äbte, sondern im Namen der als Schutzherren der Reichsabtei fungierenden Kölner Erzbischöfe und Paderborner Bischöfe (Friedhelm Biermann, Weserraum im hohen und späten Mittelalter: Adelsherrschaften zwischen welfischer Hausmacht und geistlichen Territorien, Bielefeld 2007, S. 272f). Jener um 1230 geschlagene Pfennig des Paderborner Bischof Bernhard zur Lippe erweist sich als bislang früheste Tutorenprägung und die bisher einzige inschriftlich gesicherte eines Schutzherrn der Reichsabtei, die in der kurzlebigen Stadt Corvey entstanden ist. Bis zur Publikation dieses Schlüsselstücks war man indes der Auffassung gewesen, daß die frühesten Prägungen eines Schirmherrn über das Kloster Corvey unter dem Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden (1238-1261) erfolgt seien. Auch Erzbischof Engelbert II. von Falkenburg (1261-1275) emittierte weitere Tutorenprägungen der Kölner als Mitinhaber der Corveyer Nebenmünzstätte in der Stadt Volkmarsen, die bereits 1230 der Abt dem Erzbistum Köln zur Hälfte übertragen hatte (zum Mitbesitz der Kölner Erzbischöfe an geistlichen Münzstätten siehe auch Ilisch, Corvey, S. 9-11 sowie ders. in: P. Berghaus/S. Kessemeier [Hrsg.] Köln-Westfalen 1180, 1980, Landesgeschichte zwischen Rhein und Weser, Münster 1980, S. 289ff). Sein Münzrecht in Höxter und Volkmarsen hat in seiner Funktion als Tutor der Abtei Corvey ebenfalls der Paderborner Bischof Simon (1247-1277) ausgeübt, der wie Bischof Bernhard ebenfalls dem Geschlecht der Edelherrn zur Lippe entstammte. Die jüngsten bekannten Corveyer Tutorenmünzen ließ der Paderborner Bischof Wilhelm von Jülich-Berg (1399-1415) in Volkmarsen schlagen. Zum Pfennig der Slg. Schulte existiert eine Parallelprägung mit den gleichen Münzbildern aus der Münzstätte Corvey, deren Vorderseitenumschrift ßSANCTVSVITVS den heiligen Vitus anstelle des Namens des Münzherrn Bernhard notiert (Cappe 2 und 1 [letztere eine Variante mit VITVÆ endender Vorderseitenumschrift]; Weing. 25; Ilisch, Corvey, S. 8, Abb. rechts; Westfalia Numismatica 2001, S. 79, Abb. 10; ein dazu stempelvariantes Exemplar Westfälische Auktionsgesellschaft Auktion 75, Nr. 2579, identisch mit Westfälische Auktionsgesellschaft Auktion 62, Nr. 706). 
 
Unter Berücksichtigung der eingangs erwähnten Unwägbarkeiten dürfte der hier offerierte Sterlingtyp mitsamt seiner bilderentsprechenden Verwandten wie auch der Bernhard-Pfennig aus Slg. Schulte samt dessen Parallelemission das zeitnahe Nebeneinander bildgleicher, doch im Sinngehalt ihrer Umschriften verschiedener gleichzeitiger oder dicht aufeinander folgender Ausgaben der Abtei Corvey belegen, von denen die einen den Namen eines Stiftsheiligen aufweisen, die anderen stattdessen den Namen des Münzherrn tragen. Zugleich repräsentiert die vorliegende Münze neben dem bisher einzigartigen Pfennig aus Slg. Schulte einen weiteren numismatischen Hinweis auf die Schutzherrschaft des Paderborner Bischofs Bernhard zur Lippe über das Reichsstift Corvey, die aus anderem historischen Quellenmaterial bisher nicht erschlossen werden konnte.