Hannelore Scheiner – Porträt einer leidenschaftlichen Münzsammlerin
01. September 2016
Hannelore Scheiner wurde am 27. Juni 1936 in Stargard in Pommern geboren. Bereits im Alter von acht Jahren war sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die herannahenden Truppen der russischen Armee zwangen ihre Familie im Januar 1945 zur Flucht nach Ingolstadt. Dort ereilte die Familie nach wenigen Tagen ein weiteres schweres Schicksal, als sie, kaum in Ingolstadt angekommen, bereits von dem großen Bombardement der Stadt am 15. Januar betroffen war. Sechs Familienmitglieder kamen dabei ums Leben.
Nach diesen tragischen Kindheitserlebnissen entschloss sich Hannelore Scheiner, ihre Schulausbildung bereits im Alter von 14 Jahren zu beenden, um zunächst in einer Papierfabrik und anschließend in einem Maschinenbauunternehmen Geld für ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Im Jahre 1953 ging die damals 17-Jährige nach Oxford in England, um dort die englische Sprache zu erlernen und als Aupair zu arbeiten.
Sie verbrachte die Zeit bis 1957 bei einer Familie, in der sie insgesamt fünf Kinder betreuen durfte. In dieser Zeit entstand ihr Wunsch, Kinderkrankenschwester zu werden. Aus Mangel an einer entsprechenden Ausbildungsstätte ging Hannelore Scheiner im Jahre 1960 nach München, um dort den Beruf der Krankenschwester zu erlernen.
In München trafen sich John Scheiner und seine zukünftige Frau erstmalig. John arbeitete ab März 1961 bei einer amerikanischen Spionageeinheit und war in Bogenhausen stationiert. Die beiden verliebten sich ineinander, mussten sich jedoch bereits im Jahr 1963 wieder trennen, denn John wurde zurück in seine Heimatstadt Fort Wayne, Indiana (USA), beordert. Hannelore Scheiner beendete ihre Ausbildung und folgte John im Jahre 1964. Kurz darauf erfolgte die Eheschließung in Amerika.
Hannelore hatte bereits in früher Kindheit ihre Begeisterung für Münzen entdeckt, sie hatte drei Onkel, die passionierte Münzen sammler waren. Vor allem die römischen antiken Münzen in Bronze und Silber hatten es ihr angetan. Auch John sammelte Münzen, deshalb entschlossen sich die beiden jungen Eheleute, einen Teil ihres Lebensunterhaltes mit dem Handel von Münzen zu bestreiten. In der Zeit von 1964 - 1971 organisierten sie monatlich stattfi ndende Münzbörsen in Fort Wayne. In dieser Zeit wurde der Grundstock der Sammlung Hannelore cheiner gelegt.
Ihr Fachwissen und das sympathische Auftreten beider Eheleute bescherten ihnen den Zugang zu manch einer exklusiven Privatsammlung oder zu den Beständen der renommiertesten Münzenhändler ihrer Zeit, zum Beispiel
- Martin Nading, Stadtdirektor in Fort Wayne, Indiana. Aus der Sammlung Nading stammen etliche römische Münzen der Republik in Bronze sowie die Serie der Aes Grave.
- die Firmen Charles Wolfe in Ohio, Carl Subak in Chicago, Hans Schulman in New York, Stack´s in New York, Carroll Dellerey in New Orleans und andere lieferten ebenfalls diverse Ergänzungen der vorliegenden Sammlung Hannelore Scheiner.
1971 entschlossen sich die beiden zum Umzug nach Deutschland und zur Gründung einer Münzhandlung in Ingolstadt. John konnte als amerikanischer Staatsbürger keinen Handelsbetrieb in Deutschland eröffnen, deshalb wurde 1971 die Münzenhandlung Hannelore Scheiner ins Leben gerufen. Diese bestand bis in das Jahr 2002, erst dann wurde die Münzenhandlung unter Johns Namen fortgeführt.
Hannelore hatte im gemeinsamen Betrieb stets vor allem die Aufgabe der Münzbestimmung inne, am Liebsten natürlich die der römischen Münzen, für die sie die größte Passion entwickelt hatte. Ihre Sammlung wurde auch in Deutschland stets systematisch erweitert und qualitativ verbessert. Nach dem Umzug nach Ingolstadt kamen viele Münzen aus den führenden deutschen Münzenhandlungen und Auktionshäusern dazu. Besonderes Augenmerk legte die passionierte Sammlerin dabei stets auf Qualität und Seltenheit.
Die beiden Eheleute Scheiner sind weit über die bayrischen Grenzen als liebenswerte Münzbegeisterte bekannt. John hat sich durch seine einfachen, aber verlässlichen Kaufmannsprinzipien den Respekt vieler Händlerkollegen verdient. Es gibt wohl heute kaum einen deutschen Kollegen, der den „dienstältesten deutschen Münzenhändler“, wie er sich selbst – nicht ohne ein Augenzwinkern – nennt, nicht kennt und schätzt.
Am 1. Februar 2015 verstarb seine geliebte Ehefrau Hannelore, was für John einen schmerzhaften Verlust bedeutete. Ich hatte leider nur einmal die Gelegenheit, John und Hannelore gemeinsam zu erleben. Ich erinnere mich noch gut an den Sommernachmittag in Freising, wo ein ursprünglich rein geschäftlich geplantes Treffen nach kurzer Zeit in ein sehr herzliches und lustiges Beisammensein umschwenkte. Als noch sehr junger Münzenhändler habe ich dieses Treffen, bei dem ich viel gelernt habe, in guter Erinnerung. Die Geschäftsbeziehungen zwischen John und mir waren seither von großem Vertrauen und Freundschaftlichkeit geprägt.
Ich freue mich sehr, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, den ersten Teil der Sammlung Hannelore Scheiner wieder in den Kreislauf der Sammler übergeben zu dürfen. Ich danke John für sein Vertrauen in unsere Firma und hoffe, dass die neuen Eigentümer genauso viel Freude an den Münzen haben werden, wie seine geliebte Hannelore.
Osnabrück, im Juli 2016
Ulrich Künker