Für Eisenbahnfans: Der Suram-Tunnel
24. May 2024
Es gibt viele Sammler, der sich für das Thema Eisenbahnen auf Münzen und Medaillen begeistern. Sie haben Recht: Die Numismatik ist ein wunderbares Medium, um dieses Kapitel der Technikgeschichte zu illustrieren. Ein gutes Beispiel dafür ist eine äußerst seltene Medaille von 1890, die an eine Meisterleistung der Ingenieurskunst erinnert: Wir sprechen vom 4 Kilometer langen Tunnel unter dem Suram-Pass, der West- und Ostgeorgien verbindet.
Die alte Eisenbahnstrecke über den Suram-Pass; der rote Pfeil zeigt auf einen Zug, der sich durch die Berge windet. Ölgemälde Alexander Kisseljow aus dem Jahr 1891. Heute Tretjakow Galerie.
Baku und die Verbindung zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer
1828 kam Baku durch den Vertrag von Turkmantschai an Russland. 1837 entstand dort die erste Ölraffinerie. 1872 begann die industrielle Ausbeutung des Rohöls, nachdem das Zarenreich die Rechte an Investoren versteigert hatte. Zu den erfolgreichen Bietern gehörten bekannte Industriellendynastien wie die Rothschilds oder die Nobels.
Eine Voraussetzung für die hohen Zuschlagspreise, die in dieser Auktion erzielt wurden, war die vorausgehende Erschließung Bakus durch die Eisenbahn. Schließlich nutzte die schönste Ölquelle nichts, wenn Menschen und Material sie nicht in nützlicher Frist erreichen konnten. So wurde ebenfalls im Jahr 1872 die Transkaukasische Eisenbahn zwischen der Hafenstadt Batumi am Schwarzen Meer und den Ölfeldern von Baku am Kaspischen Meer eröffnet. Alle Züge, die diese Strecke befuhren, mussten den Suram-Pass überwinden. Er wies Steigungen von bis zu 46‰ auf und Kurvenradien von nur 100 Meter. Deshalb wurden die für die Semmering-Bahn entwickelten Fairlie-Gelenk-Lokomotiven der Baureihe F eingesetzt.
Die Ölförderung bescherte Baku einen gewaltigen Boom und ein unglaubliches Bevölkerungswachstum. Die Einwohnerzahl von Baku wuchs schneller als die von London, Paris und New York! Das bedeutete, dass es bald eine häufigere Eisenbahnverbindung brauchte, um alle notwendigen Verbrauchsgüter nach Baku zu transportieren.
Die Medaille auf die Eröffnung des Suram-Tunnels
An die Lösung dieses logistischen Problems erinnert eine Medaille, die anlässlich der Eröffnung des neuen Tunnels unter der Passhöhe des Suram-Passes am 16. September 1890 erinnert. Sie zeigt auf der Vorderseite eine Einfahrt des Eisenbahntunnels in gebirgiger Landschaft, aus der gerade ein Zug kommt. Darüber finden wir eingemeißelt in das Portal die Jahre, in denen der Tunnel erbaut wurde, nämlich von 1886 bis 1890. Über der Einfahrt thronen zwei junge Frauen in regionaler Tracht mit den Wappen ihrer Provinzen: links Kutaisi, rechts Tiflis. Zwischen ihnen sehen wir ein Porträt des damals herrschenden Zaren Alexander III. im Eichen- und Lorbeerkranz, darüber die Krone. Die Umschrift lautet in Übersetzung: In Erinnerung an den Durchschlag des Suram Tunnels, Beginn 1886 und Abschluss 1890. Ganz klein liest man rechts unten, neben der Bahntrasse die Signatur des Stempelschneiders L. Steinman.
Für Eisenbahnfans noch spannender ist die Darstellung der Rückseite, denn sie zeigt schematisch den Verlauf der alten und der neuen Strecke. Angegeben sind auch die Namen der ehemaligen Stationen – CT steht dabei als Abkürzung für Station – Mality, Bezhetubani, Tsina, Tsipa, Pona, Suram, Michailowo (heute Kashuri). Die Stationen Tsipa, Pona und Suram wurden durch die neue Streckenführung nicht mehr bedient. Stattdessen hielt der Zug nach Durchfahrt des Tunnels in Kwischheti, um bei Michailowo wieder auf die alte Strecke zu kommen.
Die Umschrift im Abschnitt (ebenfalls in Übersetzung) weist auf den Bauherren hin: Die Bauarbeiten wurden vom Ministerium für Verkehrswesen durchgeführt. Bauleiter D. S. S. Rydziewski.
Einfahrt in den Tunnel von Suram. Postkarte um 1900.
Der Suram-Tunnel: Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst
7.258.775 Rubel: So lautete die erste Kostenschätzung für den 4.416,5 Meter langen Tunnel, der die Eisenbahnstrecke entschärfen sollte. Das Projekt wurde genehmigt und 1886 stand die endgültige, mit 3998,3 Metern leicht kürzere Streckenführung fest, so dass mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte.
Dafür mussten erst einmal Arbeiter geworben werden, da in der dünn besiedelten Bergregion nicht genug Menschen lebten. Ein kleiner Teil der rund 2.000 Fachkräfte stammte aus Deutschland, der Schweiz und Italien, wo der Bau der Alpentransversale eine ganze Generation von hochspezialisierten Technikern hervorgebracht hatte. Maurer, Steinmetze, Holzfäller, Mechaniker und Hilfsarbeiter kamen aus dem Inneren Russlands, aus Persien, der Türkei und Griechenland. Zeitgenössische Darstellungen schildern die Sprachprobleme, die sich bei diesem bunt gemischten Team ergaben.
Die Arbeit begann mit dem Erdaushub, der seit dem 6. Juni 1887 von der West-, seit dem 15. Januar 1888 gleichzeitig von der Ostseite vorangetrieben wurde. Die unterschiedlichen Daten erklären sich dadurch, dass für das westliche Team 3.058 Meter vorgesehen waren, während das östliche Team „nur“ 930 Meter Vortrieb leisten sollte. Nach anfänglich manueller Arbeit wurden hydraulische Drehbohrmaschinen eingesetzt, wie sie der deutsche Ingenieur Alfred Brandt entwickelt hatte. Sie entsprachen damals modernster Technologie: 1873 hatte ihr Erfinder sie erstmals auf der Wiener Weltausstellung präsentiert und dafür vom Fachpublikum große Skepsis geerntet. Doch ihre Leistung überzeugte. Der Tunneldurchbruch fand bereits am 12. Oktober 1888 um 7.00 Uhr morgens statt. Die beiden Teams verzeichneten eine nur leichte Abweichung von 4,3 cm vertikal und 12,8 cm horizontal, was damals als hervorragende Leistung galt.
Allerdings war der schnell vorgetriebene Stollen zu klein. Deshalb machte sich ein Team von Bergleuten an die Arbeit, um den Stollen manuell auf die vorgesehene Größe zu erweitern. Danach wurde der Tunnel mit Granit und Sandstein ausgekleidet.
Im Tunnel wurde rund um die Uhr gearbeitet, in drei Schichten zu acht bzw. in zwei Schichten zu zwölf Stunden, je nach Komplexität der Tätigkeit.
Hier noch ein paar Zahlen. Für den Tunnelbau brauchte man 163,8 t Dynamit, 19.820 m3 Holz, 145.682 m3 Stein, 39.358 m3 Zement und 38.848 m3 Sand. Insgesamt wurden 388.485 m3 Erde aus dem Tunnel geschafft.
Als der Suram-Tunnel am 16. September 1890 in Anwesenheit des zaristischen Eisenbahnministers Adolf Jakowlewitsch Gübbenet eröffnet wurde, betrugen die Gesamtkosten 5.224.996 Rubel, also deutlich weniger als die anfänglich geschätzte Summe.
Doppelt so viele Züge pro Tag durch den Suram-Tunnel
Durch den Tunnel wurde die maximale Steigung der Strecke auf 28‰ verkleinert und der minimale Kurvenradius auf 150 m vergrößert. Damit gewann man die Zeit, um die Zugfrequenz zu erhöhen. Der Suram-Tunnel verdoppelte fast die Zahl der Züge, die täglich Ost- und Westgeorgien verbanden.
Dank moderner Lokomotiven befahren heute bis zu 50 Zugpaare täglich die Strecke. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts ist auch das zu wenig geworden: Seit 2011 wird an einer neuen Strecke gebaut, die den Suram-Tunnel ersetzen soll.